Führen ohne Macht, aber mit Wirkung: Wie Sie Teams auch ohne Chefrolle bewegen
Sie sollen ein Team führen – aber niemand ist Ihnen formal unterstellt. Kein Titel, keine Macht, kein Müssen. Und dennoch liegt der Erfolg des Projekts in Ihrer Verantwortung.
Willkommen in der Realität lateraler Führung. Dieser Beitrag zeigt, in welchen Kontexten diese Führungsform gefragt ist, welche Herausforderungen sie mit sich bringt – und wie Sie auch ohne Macht wirksam führen.
Wo laterale Führung zum Alltag gehört
Führen ohne disziplinarische Macht ist längst kein Sonderfall mehr. Die Mehrheit der Unternehmen erwarten, dass Bereichsgrenzen künftig eine immer geringere Rolle spielen werden, da die mittleren Führungsebenen immer stärker ausgedünnt werden. Gerade in dynamischen, matrix- oder projektorientierten Organisationen ist laterale Führung gelebte Praxis.
Typische Kontexte sind:
Projektmanagement: Projektleitende steuern interdisziplinäre Teams, motivieren, koordinieren – und tragen die Verantwortung für das Ergebnis, ohne Weisungsbefugnis.
Matrixorganisationen: Mitarbeitende berichten an mehrere Führungspersonen. Führung erfolgt hier über Kooperation, nicht über Anweisung.
Fachgruppen und Communities of Practice: Fachlich versierte Personen geben Impulse, leiten Diskussionen und fördern Wissenstransfer.
Agile Rollen (Scrum Master, Product Owner): Diese Rollen fördern Selbstorganisation und begleiten Teams ohne disziplinarische Macht.
Typische Herausforderungen in der Führung ohne Macht
Laterale Führung kann wirksam sein – aber sie ist kein Selbstläufer. Besonders häufige Stolpersteine sind:
Akzeptanz gewinnen: Autorität entsteht nicht durch Titel, sondern durch Persönlichkeit, Fachlichkeit und Beziehungsstärke.
Widerstände überwinden: Ohne Weisungsbefugnis kann es schwieriger sein, Commitment zu erzeugen. Teammitglieder könnten Vorschläge ignorieren, da keine "offizielle" Verpflichtung besteht.
Konflikte managen: Ohne formale Macht ist Fingerspitzengefühl gefragt – Konflikte müssen moderativ und auf Augenhöhe gelöst werden, da ein "Machtwort" nicht möglich ist.
Motivation stärken: Intrinsische Motivation rückt in den Fokus, da klassische Anreize (z.B. Boni, Beförderung) fehlen.
Verantwortung ohne Einfluss: Sie sind verantwortlich für das Ergebnis, haben aber keine klassische Steuerungsmacht – ein Spannungsfeld, das Fingerspitzengefühl erfordert.
Diese Herausforderungen zeigen: Laterale Führung verlangt mehr als Methoden – sie braucht Haltung, Kommunikation und die Fähigkeit, andere zu gewinnen. Besonders problematisch ist, dass nur wenige laterale Führungskräfte in ihren Unternehmen ausreichend für diese Herausforderungen qualifiziert werden.
Werkzeuge für wirksame Führung ohne Weisungsbefugnis
Diese erprobten Ansätze und Methoden unterstützen in der Praxis:
Kommunikation auf Augenhöhe: Klar, offen und wertschätzend – so entsteht Vertrauen.Praxistipp: Nutzen Sie Fragen wie „Was brauchen Sie, um weiterzukommen?" oder „Welche Hindernisse sehen Sie aktuell?", um Eigenverantwortung zu fördern.
Zielvereinbarungen: Gemeinsames Verständnis schafft Orientierung und Verbindlichkeit.Praxistipp: Formulieren Sie SMART-Ziele gemeinsam mit dem Team – was gemeinsam entwickelt wird, trägt mehr.
Feedback & Coaching: Kontinuierliche Rückmeldung unterstützt Entwicklung und Selbstverantwortung.Praxistipp: Nutzen Sie die SBI-Methode: Situation beschreiben, Verhalten schildern, Impact/Wirkung erläutern – sachlich und ohne zu bewerten.
Moderation & Konfliktlösung: Wer Diskussionen strukturiert lenken kann, fördert Lösungsorientierung.Praxistipp: Visualisieren Sie Diskussionen, sammeln Sie alle Perspektiven, bevor Sie Entscheidungen moderieren.
Sinnstiftung: Ein klarer Purpose stärkt Identifikation und Motivation – wirksamer als jede Anweisung.Praxistipp: Verbinden Sie die tägliche Arbeit regelmäßig mit dem größeren Ganzen: „Warum ist dieses Projekt wichtig? Welchen Unterschied machen wir damit?"
Netzwerk & Beziehungen: Beziehungen zählen mehr als Hierarchien – bauen Sie gezielt Allianzen auf.Praxistipp: Pflegen Sie den regelmäßigen Austausch mit Schlüsselpersonen – auch informell.
Empowerment: Geben Sie Verantwortung ab und ermutigen Sie zu Initiative.Praxistipp: Delegieren Sie nicht nur Aufgaben, sondern auch Entscheidungsspielräume.
Fazit: Führung jenseits der Hierarchie – eine Kernkompetenz der Zukunft
Die wachsende Bedeutung lateraler Führung ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern Ausdruck einer fundamentalen Veränderung der Arbeitswelt. In vernetzten, agilen und projektorientierten Strukturen wird die Fähigkeit, ohne formale Macht zu führen, zur entscheidenden Kompetenz.
Wer Methoden wie dialogische Kommunikation, gemeinsame Zielvereinbarungen beherrscht, ein Umfeld schafft, das intrinsische Motivation fördert, und persönliche Stärken wie Empathie, Überzeugungskraft und Netzwerkfähigkeit entwickelt, kann auch ohne Chefposition wirkungsvoll führen.
Für Unternehmen bedeutet dies: Die gezielte Förderung lateraler Führungskompetenzen ist keine Kür, sondern Pflicht – und ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Laterale Führung beschleunigt Entscheidungsprozesse, stärkt die Innovationsfähigkeit und erhöht die Mitarbeiterbindung – gerade in wissensbasierten Organisationen.
Wer heute führen will, braucht keine Macht – sondern Haltung, Klarheit und den Mut, auf Augenhöhe zu wirken.
Autor: Dr. Conrad Pramböck
Seminartipp: Führen ohne Vorgesetztenfunktion
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