Anfechtung der Kündigung bei Sozialwidrigkeit

Der Arbeitgeber muss die Kündigung eines Arbeitnehmers grundsätzlich nicht begründen. Der Arbeitnehmer kann seine Kündigung jedoch bei Gericht nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG anfechten, wenn

  • sie sozial ungerechtfertigt ist und
  • der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb (Unternehmen) beschäftigt ist.

Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, wenn sie wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt.

Die Notwendigkeit des Vorliegens einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung des Arbeitnehmers hat die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung muss ein solches Ausmaß erreichen, dass sie eine fühlbare und ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers zur Folge hat. Eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung muss aber dadurch noch nicht eintreten (vgl. RS0051753; OGH 29.08.2019, 8 ObA 39/19x).

 

Wann sind wesentliche Arbeitnehmerinteressen beeinträchtigt?

Bei der Untersuchung, ob durch die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Arbeitnehmers vorliegt, stellt die ständige Rechtsprechung auf

  • die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes,
  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • das Alter des Arbeitnehmers,
  • den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche und
  • der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorteile (z.B. Dienstwohnung)

ab (vgl. RS0051703; RS0051806; OGH 15.05.2019, 9 ObA 43/19t).

 

Einbeziehung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers

Zur Beurteilung der Beeinträchtigung von wesentlichen Arbeitnehmerinteressen sind darüber hinaus auch die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers einzubeziehen. Dazu gehören Einkommen, Vermögen, auf Gesetz, Vertrag oder sittlichen Verpflichtungen beruhende Sorgepflichten, das Einkommen des Ehegatten und der anderen erwerbstätigen Familienmitglieder sowie Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist. Es ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen für die Prüfung maßgeblich (vgl. RS0051806; OGH 15.05.2019, 9 ObA 43/19t).

 

Personen- oder betriebsbedingte Kündigungsgründe: Nachweis des Arbeitgebers und anschließende Interessenabwägung

Dem Vorliegen wesentlicher Interessenbeeinträchtigungen des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber entgegenhalten, dass die Kündigung aus personen- oder betriebsbedingten Gründen dennoch notwendig war (ist). Dazu muss er nachweisen, dass die Kündigung

  • durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder
  • durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen,

begründet ist.

So personen- oder betriebsbedingte Kündigungsgründe vorliegen, ist eine Abwägung der Arbeitnehmerinteressen mit den Interessen des Betriebs vorzunehmen. Überwiegen die Interessen des Arbeitnehmers, so ist die Kündigung sittenwidrig. Bei Überwiegen der Interessen des Arbeitgebers ist die Kündigung gerechtfertigt.

 

Besonderes Schutzbedürfnis für ältere Arbeitnehmer

Umstände, die ihre Ursache in einem höheren Lebensalter eines Arbeitnehmers haben, dürfen zur Rechtfertigung der Kündigung des älteren Arbeitnehmers nur dann herangezogen werden, wenn die Weiterbeschäftigung betriebliche Interessen erheblich nachteilig berührt.

Bei älteren Arbeitnehmern sind bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit

  • die Beschäftigungsdauer und
  • die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess

aufgrund des hohen Alters BESONDERS zu berücksichtigen. D.h., dass dem hohen Alter bei der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung ein stärkeres Gewicht als anderen Aspekten zukommt.

Die „besondere Berücksichtigung“ gilt laut § 105 Abs 3b ArbVG nicht für Arbeitnehmer, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben.

Aber:
Nach Ansicht des OGH (30.10.2019, 9 ObA 86/19s) darf auch für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung bereits 50+ waren, das Lebensalter nicht vollständig ausgeblendet werden. Die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung aufgrund des Alters sind zwar nicht in „besonderem“ Ausmaß, aber in „normalen“ Umfang zu berücksichtigen.

 

Fazit

Das höhere Lebensalter ist bei der Kündigung von Arbeitnehmern in der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung besonders zu berücksichtigen. Dem höheren Alter kommt damit ein starkes Gewicht für eine Beeinträchtigung zu. Auch wenn dies nach dem Wortlaut des § 105 Abs 3b ArbVG nicht für Arbeitnehmer gilt, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben, wurde diese Ausnahme vom OGH wieder relativiert. Das hohe Lebensalter ist „normal“ zu berücksichtigen, d.h. als normal gewichtiger Aspekt mit anderen Aspekten abzuwiegen.

 

Autorin: Mag. Sylvia Unger

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