Text-KIs wie ChatGPT oder Claude schreiben weder besonders gute noch besonders schlechte Texte. Aber was, wenn man ihnen das Know-how von Wolf Schneider, dem deutschen Stilpapst einimpft? So trainieren Sie Ihren eigenen Text-Chatbot!
Wann immer es in meinen Text-Seminaren um den Schreib-Stil geht, verweise ich auf die klugen und natürlich gut geschriebenen Bücher von Wolf Schneider. Im Laufe seiner langen Karriere war er Journalist, legendärer Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Sachbuchautor und Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg – und er ist zu einer Stil-Ikone unserer Sprache geworden.
Wer sich an Wolf Schneiders Empfehlungen hält, schreibt sehr gutes Deutsch. Sehr gutes Deutsch ist klar, kurz, verständlich, schnörkellos und lebendig. Sehr gutes Deutsch ist in der Wortwahl präzise, wirkt leicht dahingeschrieben und unspektakulär.
Und: Sehr gutes Deutsch ist leider schwierig zu schreiben. Warum? Weil dahinter gute Gedanken stecken müssen. Nur schwache Texter:innen werfen mit sprachlichen Nebelbomben um sich und verstecken seichte, unausgegorene und unlogische Gedanken hinter schillernden Wortkaskaden und Sätzen, die auf einen kurzfristigen Blendungs-Effekt abzielen. Das gilt für Journalismus, Werbung, PR und Belletristik gleichermaßen – ja, sogar für Lyrik.
Seine Thesen zur Stilistik formulierte Wolf Schneider in vielen Büchern:
- Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache
- Deutsch für Profis
- Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde
- Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß
- Deutsch für Werber
- Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte
- Speak German! – Warum Deutsch manchmal besser ist.
- Gewönne doch der Konjunktiv! Sprachwitz in 66 Lektionen
- Deutsch für junge Profis. Wie man gut und lebendig schreibt
- Deutsch lebt! Ein Appell zum Aufwachen
Sie alle sind lesenswert. Wer aber nur eines lesen will, sollte „Deutsch für junge Profis. Wie man gut und lebendig schreibt“ kaufen.
Schneider betätigte sich eine Zeit lang als Video-Blogger auf der Süddeutschen-Online. Leider ist der gesamte Vlog nicht mehr on-air. Einen Beitrag gibt es noch: Speak Schneider! (2): Liebe Deutschlehrer!
Für eine 2012 erschienene Verlagsbeilage der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Wolf Schneider eine Deutsch-Stilkunde in 20 Lektionen verfasst. Sie ist in ihren wichtigsten Teilen online abrufbar auf Zeit Online: Stilkunde Deutsch
Wolf Schneiders wichtigste Thesen – kurz zusammengefasst:¹
- Im Anfang war das Tun: Warum wir die Verben lieben sollten
- Zählen wir die Silben: Kurze Wörter bleiben hängen
- Nennen wir´s beim Namen: Konkrete Wörter haften besser
- Geizen wir mit Adjektiven: Überflüssig sind erstaunlich viele
- Seien wir ein bisschen unbequem: Redensarten schläfern uns ein
- Vermeiden wir den Überdruss: Modewörter sind meist albern
- Warum wir am Passiv leiden: Es ist die hässlichste Form des Verbs
- Misstrauen wir den Synonymen: Nur Deutschlehrer lieben sie
- Verachten wir den Wissenschaftsjargon
- König der Sätze: Der Hauptsatz ist der älteste – und immer erste Wahl
- Wörter in Bewegung: Wie wir den Satzanfang variieren können
- Die Krone der Hässlichkeit: Bürokraten sind in sie vernarrt
- Nur für Gedächtniskünstler: Die vermaledeiten vorangestellten Attribute
- Die schöne heikle Nebensache: Wie wir mit Nebensätzen umgehen sollten
- Wie lange darf ein Satz sein? So lange, wie ihn unser Atem trägt
- Mit Satzzeichen Musik machen: Es gibt mehr als Punkt und Komma
- Gliedern kann nicht schaden: Erst denken, dann schreiben
- Die Kunst des Anfangs: Nach 20 Sekunden ist alles vorbei
- Die Kraft der Bilder: Sie schaffen Farbe und Wärme
- Der Wille zum Verzicht: Wenn alles gesagt ist, sollte der Text enden.
Der Stil-Assistent: So trainieren Sie Ihren eigenen Stil-Chatbot mit ChatGPT4 oder Claude
In ChatGPT 4.0 einfach im Profil auf „Meine GPTs“ gehen und einen neuen erstellen. Dann benennen, kurz beschreiben, worum es geht – und dann unter „Wissen“ sämtliche relevanten Dokumente hochladen. Sie bilden den Wissenshorizont des Chatbots.
„Wissen“ kann für den Chatbot alles Mögliche sein: Präsentationen, Style-Guides, Wording-Guides, Tone of Voice-Dokumente, bisherige sehr gute Texte, Referenztexte ... oder zum Beispiel ein Dokument mit der Auflistung der 20 Punkte von oben. Besonders gründliche Chatbot Ersteller:innen fassen die Bücher von Wolf Schneider zusammen und füttern damit den Bot. Wichtig ist nur, dass der Bot immer aufgefordert wird, diese Daten zu analysieren und inhaltlich abzuspeichern. Bei jeder Eingabe oder Abfrage zieht der Chatbot dann Wissen aus dieser Datenbank. Also: Je mehr und je relevantere Daten man uploadet, desto besser sind danach die Abfrage-Ergebnisse. Wer statt ChatGPT das fürs Texten besser geeignete „Claude“ verwendet, geht genau gleich vor – nur heißt der eigene GPT in Claude „Projekte“ und die Wissensdatenbank heißt „Project Knowledge“. Der Ablauf ist danach gleich wie in ChatGPT.
Unser Service für Sie:
Ein paar Trainingsdaten für Ihren persönlichen Stil-Chatbot!
Und wenn wir Sie jetzt überzeugt haben, dass ein Text-Chatbot Sinn macht, dann kommt hier als besonderes Service der erste Wissensinput:
Sie können diese Punkte gerne für Ihr Project Knowledge oder Ihren ChatGPT Chatbot verwenden. Einfach copy and paste, in ein Dokument speichern und hochladen – und zur Sicherheit einen Prompt dieser Art nachschicken:
„Ich habe dir Texttipps von Wolf Schneider raufgeladen. Bitte speichere sie ab und beziehe dich bei Abfragen auf dieses Wissen.“
Hier eine ausführlichere Liste, welche Punkte Wolf Schneider für den guten Stil wichtig sind.
1. Im Anfang war das Tun: Warum wir die Verben lieben sollten
- Verben machen Texte lebendig und aktiv
- Sie transportieren die Hauptaussage und Handlung
- Starke Verben statt schwacher Substantivierungen verwenden
- Prägnante Verben statt Hilfsverben und Modalverben einsetzen
2. Zählen wir die Silben: Kurze Wörter bleiben hängen
- Einsilbige und zweisilbige Wörter sind am verständlichsten
- Lange Komposita vermeiden oder mit Bindestrichen trennen
- Faustregel: Je kürzer ein Wort, desto besser wird es verstanden
3. Nennen wir's beim Namen: Konkrete Wörter haften besser
- Abstrakte Begriffe durch konkrete, bildhafte Wörter ersetzen
- Spezifische statt allgemeine Ausdrücke verwenden
- Das Konkrete spricht die Sinne an und bleibt im Gedächtnis
4. Geizen wir mit Adjektiven: Überflüssig sind erstaunlich viele
- Adjektive kritisch hinterfragen und oft weglassen
- Nur aussagekräftige, nicht-redundante Adjektive verwenden
- Starke Verben und Substantive machen viele Adjektive überflüssig
5. Seien wir ein bisschen unbequem: Redensarten schläfern uns ein
- Abgenutzte Floskeln und Redewendungen vermeiden
- Stattdessen frische, unverbrauchte Formulierungen finden
- Kreativ und originell formulieren weckt Aufmerksamkeit
6. Vermeiden wir den Überdruss: Modewörter sind meist albern
- Trendige Buzzwords und Anglizismen sparsam einsetzen
- Zeitlose, präzise Ausdrücke bevorzugen
- Sprachliche Moden kommen und gehen schnell wieder
7. Warum wir am Passiv leiden: Es ist die hässlichste Form des Verbs
- Passivkonstruktionen in Aktivsätze umwandeln
- Das Aktiv macht Texte lebendiger und direkter
- Im Passiv bleibt oft unklar, wer handelt
8. Misstrauen wir den Synonymen: Nur Deutschlehrer lieben sie
- Nicht krampfhaft nach Synonymen suchen
- Wortwiederholungen können Klarheit und Prägnanz schaffen
- Besser dasselbe Wort wiederholen als ein unpassendes Synonym
9. Verachten wir den Wissenschaftsjargon
- Komplizierte Fachbegriffe vermeiden oder erklären
- Verständlich für die Zielgruppe formulieren
- Fachchinesisch erschwert das Verständnis unnötig
10. König der Sätze: Der Hauptsatz ist der älteste – und immer erste Wahl
- Hauptsätze sind am leichtesten zu verstehen
- Komplexe Satzgefüge in Hauptsätze auflösen
- Faustregel: Ein Gedanke pro Satz
11. Wörter in Bewegung: Wie wir den Satzanfang variieren können
- Nicht immer mit dem Subjekt beginnen
- Satzanfänge abwechslungsreich gestalten
- Wichtige Informationen an den Satzanfang stellen
12. Die Krone der Hässlichkeit: Bürokraten sind in sie vernarrt
- Bürokratendeutsch und Amtssprache vermeiden
- Stattdessen natürlich und lebendig formulieren
- Verständlichkeit geht vor vermeintlicher Wichtigtuerei
13. Nur für Gedächtniskünstler: Die vermaledeiten vorangestellten Attribute
- Lange Attributketten vor dem Substantiv vermeiden
- Besser nachgestellte Attribute oder Relativsätze verwenden
- Zu viele vorangestellte Attribute überfordern die Leser:innen
14. Die schöne heikle Nebensache: Wie wir mit Nebensätzen umgehen sollten
- Nebensätze sparsam und gezielt einsetzen
- Nicht zu viele Informationen in Nebensätze packen
- Nebensätze können Hauptaussagen relativieren
15. Wie lange darf ein Satz sein? So lange, wie ihn unser Atem trägt
- Ideal sind 9-15 Wörter pro Satz
- Maximal 25-30 Wörter, dann neuen Satz beginnen
- Kurze und lange Sätze abwechseln für guten Lesefluss
16. Mit Satzzeichen Musik machen: Es gibt mehr als Punkt und Komma
- Satzzeichen bewusst und abwechslungsreich einsetzen
- Gedankenstriche, Doppelpunkte etc. strukturieren den Text
- Satzzeichen bestimmen Rhythmus und Melodie des Textes
17. Gliedern kann nicht schaden: Erst denken, dann schreiben
- Vor dem Schreiben die Struktur und Gliederung planen
- Roten Faden entwickeln und konsequent verfolgen
- Übersichtliche Gliederung erleichtert das Verständnis
18. Die Kunst des Anfangs: Nach 20 Sekunden ist alles vorbei
- Die ersten Sätze entscheiden über weiteres Lesen
- Mit einem Knaller beginnen, der neugierig macht
- Direkt zum Thema kommen, ohne lange Einleitung
19. Die Kraft der Bilder: Sie schaffen Farbe und Wärme
- Bildhafte Sprache und Vergleiche verwenden
- Abstraktes durch konkrete Bilder veranschaulichen
- Metaphern wecken Emotionen und bleiben hängen
20. Der Wille zum Verzicht: Wenn alles gesagt ist, sollte der Text enden
- Texte kürzen und Überflüssiges streichen
- Auf den Punkt kommen und nicht ausufern
- Ein prägnanter Schluss rundet den Text ab
PS: Nach einem TV-Interview fragte Wolf Schneider den zuständigen Redakteur: „Bin ich zu menschlich rübergekommen?“
... was die KI wohl dazu meint?
¹ Schneider, Wolf: Wie Sie besser schreiben. Eine Deutsch-Stilkunde in 20 Lektionen. In: Die Zeit, Beilage Nr. 20, 67. Jahrgang, Mai 2012.
Autor: Martin Gessoni
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